Ein Mann, der Gott vertraute (Teil 6)

Im Morgengrauen schreckte Lärm auf der Straße den Fieberkranken aus dem Schlaf. Heftiges Herzklopfen verhinderte das Wiedereinschlafen. Angstgefühle quälten ihn. Die ganze Not der langen Monate seiner Liebe zu Maria, die vielleicht nie die Seine werden durfte, schienen wie eine Flut über ihn hereinzubrechen. Ein Heer von Befürchtungen unvorhergesehener Zwischenfälle drang auf ihn ein. Er meinte, den Widerstand, der ihrer Liebe entgegengebracht wurde, nicht länger ertragen zu können. Das steigerte seine tiefe Angst. Und auch hier griff der barmherzige Gott ein, als die Not am größten war. Darüber berichtete er später seiner Schwester:

„Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass Maria sich im Zimmer befinde. Sie musste wie ein leichter Windhauch hereingekommen sein. Da wurde ich ganz ruhig. Ich wusste sie in meiner Nähe. Einen Augenblick war ich wie gelähmt, dann streckte ich mit geschlossenen Augen meine Hand aus. Mit behutsamem Druck fühlte ich sie warm von der ihren umschlossen. Sie bedeutete mir, nicht zu reden, und legte zugleich die andere Hand auf meine Stirn. Unter ihrem sanften Druck fühlte ich Fieber und Kopfschmerzen schwinden. Sie flüsterte mir zu, ich solle mich nicht länger ängstigen, denn sie gehöre zu mir wie ich zu ihr. Ich solle nun ruhig schlafen. Das tat ich dann auch. Ich erwachte erst wieder nach Stunden. Das Fieber war gewichen, nur fühlte ich mich sehr schwach.

Ein wunderschöner Traum, könnte man sagen, doch war ich nie wacher als in jenem Augenblick. Ich sah und fühlte sie so deutlich wie jetzt den Bleistift und das Papier in meiner Hand. Wahrscheinlich war das Fieber eine Folge meiner Furcht vor der möglichen Ausweglosigkeit unserer Liebe. Du kannst dir gewiss vorstellen, wie beruhigend ihr Besuch auf mich wirkte.“

Mit der zurückkehrenden Kraft nahm er seine Tätigkeit in der Stadt wieder auf. Bei ihrem regelmäßigen Predigtamt erlebten die Missionare manche Ermutigung. Da waren vor allem die Ärmsten, die regelmäßig von den Missionaren zu einem Frühstück eingeladen wurden. An ihnen hatte Hudson Taylor seine besondere Freude.

Diese täglichen Mahlzeiten für sechzig bis achtzig Menschen stellten große Ansprüche an die Kasse. Mehr als einmal musste das letzte Geldstück ausgegeben werden, ehe neue Vorräte gekauft werden konnten. Ein Beispiel von Gottes treuer Fürsorge wollte er seinen Freunden in der Heimat nicht vorenthalten:

„Am Samstagmorgen bezahlten wir alles, was wir an notwendigen Lebensmitteln für den Sonntag brauchten. Damit war meine Kasse leer. Wie uns Gott am Montag weiterhelfen würde, wussten wir nicht. Über unserm Kamin im Wohnzimmer jedoch hingen die beiden Spruchrollen ,Ebenezer‘ und ,Jehova Jireh‘. Sie ließen keinen Zweifel an Gottes Treue aufkommen.

Da brachte die Post eine beträchtliche Gabe für Mr. Jones. Sie kam eine Woche früher als sonst, und wir dankten Gott für diese weitere Ermutigung.“

Bald darauf sollte Hudson Taylor noch auf andere Weise erfahren, wie Gott für ihn sorgte. Marias Onkel, Mr. Tarn, hatte nach sorgfältigem Umfragen in London nur Gutes über den jungen Missionar gehört. Es hieß, er sei ein vielversprechender Missionar. Die Sekretäre der CEG stellten ihm das beste Zeugnis aus, und auch von andern Seiten vernahm er viel Gutes über ihn. Deshalb kehrte er sich nicht weiter um die beunruhigenden Gerüchte und gab seine Einwilligung zur Verlobung seiner Nichte.

Aber wie schwer erwies es sich nun, eine weitere Unterredung zwischen den beiden jungen Leuten herbeizuführen! Hudson Taylor hätte durch einen Besuch in Mrs. Bausums Institut zu viel Aufsehen erregt. Auch in seinem Haus durfte er Maria nicht empfangen. Gerüchte über eine bevorstehende Verlobung jedoch finden überall rasche Verbreitung. So vernahm auch eine amerikanische Missionarin davon, die die beiden Liebenden gern leiden mochte. Sie wohnte in einem ruhigen Ort außerhalb der Stadtmauer in der Nähe des Flusses. Maria erhielt von ihr eine Einladung. Im Brief stand geschrieben, dass außer ihr vielleicht „zufällig“ auch ein anderer Besucher anwesend sei, das könne sogar einmal in China vorkommen.

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Aus: H. und G. Taylor
Hudson Taylor
Ein Mann, der Gott vertraute

Brunnenverlag 1981
Seite 120 bis 136